Foto: Renu Li

Das Yoga des Pilgern

Die Begegnung mit der großen Göttin auf dem Weg nach Santiago de Compostella

Im großen Repertoire der Energiepraktiken, die uns aus alten Traditionen überliefert sind, hebt sich eine aufgrund ihrer alles umfassenden Natur vom Rest ab.
Das Yoga des Pilgerns ist der am meisten missverstandene aller spirituellen Schritte. Oft wird darin das bloße Reisen von einem spirituellen Ort zum anderen gesehen.

Das Yoga des Pilgerns ist jedoch der entscheidende Schritt in der persönlichen Entwicklung, mit dem wir alles, was wir gelernt haben, auf den Prüfstein stellen und all jene Situationen aus unserer Vergangenheit zum Abschluss bringen, die bislang unvollendet geblieben sind.

Im I Ging lautet einer der ersten Ratschläge für den, der gerade mit der spirituellen Praxis beginnt: Wenn wir das, was wir uns vornehmen, erreichen wollen, müssen wir zum Abschluss bringen, was immer wir beginnen.

Immer wenn wir etwas beginnen, setzen wir einen Energiekreislauf in Bewegung, der fortan in erster Linie nach seiner Vollendung strebt. Bleibt er unvollendet, so bleibt die Energie in diesem Kreislauf gebunden, was unsere Lebendigkeit hemmt und unsere Wirksamkeit in unserem schaffen mindert.

Für den, der auf Pilgerfahrt gehen will, gilt daher, zuerst alle unvollendeten Situationen seines ganzen bisherigen Lebens anzuschauen und vor der Abreise zu lösen. Das ist sehr wichtig, den das Yoga des Pilgerns ist eine Vorbereitung auf das Sterben.

In Indien nennt man den Pilger auch "den wandelnden Leichnam".
Vor seinem Aufbruch hat der Pilger alle seine Schulden bezahlt, alle Zwistigkeiten aufgelöst, mit alten Feinden Frieden geschlossen und alles, was in der Schwebe und noch offen war, geklärt und zu Ende geführt.

Der Pilger ist bereit, diese Welt zu verlassen, ohne dass ihn noch etwas mit der körperlichen Ebene verbindet. Das Yoga des Pilgerns ist das Yoga der Befreiung von Bindungen und gewährt uns so eine bewusste Erfahrung von Freiheit, wie sie uns sonst nie im Leben möglich wird.

Ein zweiter, ebenfalls sehr wichtiger Schritt beim Pilgern ist das Ablegen persönlicher Schwüre, die die eigenen Verhaltensweisen betreffen. Sie helfen die Willenskraft zu stärken und den Selbstachtung zu heben. Der oberste Schwur ist derjenige, die Pilgerreise abzuschließen, ungeachtet aller Entbehrungen und Hindernisse, denen man auf dem Weg begegnet. Die Erfüllung dieses Schwurs wird zum Vorbild für die eigene Ausdauer und Beharrlichkeit, so dass der Pilger diese danach auch in anderen schwierigen Situationen aufbringen kann.

Pilgerreisen - Ziele

Alle großen spirituellen Traditionen auf der Welt haben ihre eigenen genau gekennzeichneten Pilgerzentren. Die Hindus reisen zur Quelle des Ganges und zum Berg Kailash. Die Buddhisten zum Ort von Buddhas Erleuchtung im Indischen Bodhgaya. Die Moslems pilgern nach Mekka. Die Christen nach Jerusalem oder nach Rom. Die amerikanischen Indianer unternehmen Pilgerreisen in die heiligen Berge und Täler ihrer Ahnen. Die Taoisten besteigen die Berge der fünf Elemente.

Im vorchristlichen Europa konnte eine Pilgerroute ausgemacht werden, die aus allen Richtungen des Kontinents zu dem Ort führt, an dem die spirituelle Tradition der Vorfahren ursprünglich ins Land kam.

Die Pilgerfahrt nach Finisterre - zum "Ende der Erde" - verläuft auf der ältesten noch genutzten Pilgerroute in Europa. Schon Druiden und Kelten unternahmen diese Reise und als das Christentum zur vorherrschenden spirituellen Praktik des Kontinents wurde, ist sie in eine christliche Pilgerfahrt umgewandelt und kurzerhand mit dem leuchtenden Geist des Apostels Jakob verknüpft worden.

Die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostella, an der äußersten Spitze von Nordspanien gelegen, bietet die Gelegenheit, in die Schatzkammer der alten europäischen archetypischen Mythen und Symbole einzudringen.

Niemand, der diese heilige Route gegangen ist, wird es je bereuen. Ganz im Gegenteil, die heimgekehrten Pilger sind gestärkt mit einem ganz klaren Bewusstsein ihrer Absicht, ihrer Ausrichtung sowie ihrer persönlichen Leistung.

Für viele der Pilger wird es zu DER Leistung ihres ganzen Lebens, mehr als 800 Kilometer zu laufen, durch extremen Regen genauso wie durch extreme Hitze, aber immer mit leichtem Gepäck. Und die Erfahrung wird zum Ansporn, große Ziele zu erreichen.

Die Pilgerreise steckt die eigenen Grenzen neu. Einen Menschen mit geringer Selbstachtung wird die Erfahrung, jeden Tag, täglich für viele Stunden, über einen ganzen Monat oder länger, durchzuhalten, von Grund auf verwandeln. Die Erfahrung wird ihn lehren, wie er seine persönliche Kraft und Stärke wiedergewinnt.

Auf dem Weg nach Santiago begegnet man wenige Monate alten Babys, die von ihren Eltern getragen werden, genauso wie älteren Menschen in ihren Achtzigern, die langsamen Schrittes vorankommen. Jeder von ihnen erreicht sein Ziel in seinem eigenen Tempo. Der Weg nach Santiago ist einer der wenigen zu Fuß zu absolvierenden Pilgerwege der Welt, der sich in jedem Alter bewältigen lässt.

Auch trifft man Pilger, die diese Reise mehrmals hinter sich gebracht haben, und die immer wieder dorthin zurückkehren, um bestimmte Lebensphasen jeweils mit einem klaren Bewusstsein ihrer Ausrichtung und ihrer Absicht zu bereichern.

Das Seminar Yoga des Pilgerns lehrt die grundlegenden Schritte solch einer Reise, indem wir den reichhaltigen Symbolismus des Weges nach Santiago genau betrachten.

Wie alle althergebrachten Lehren besteht er aus einen offenen Buch des Allgemeinverständnisses und einem verschlossenen Buch mit den Lehren der Eingeweihten, die mit den 13 Energiekanälen dieser Reise zu tun haben. Zudem können die Symbole auf verschiedenen Stufen interpretiert werden.

Wir lernen die energetische Struktur eines heiligen Ortes zu lesen und die symbolischen Hinweise zu interpretieren, die von den Eingeweihten hinterlassen wurden, die schon vor uns hier gegangen sind. Es werden die für energetische Praktiken am besten geeigneten Orte genannt zusammen mit den verschiedenen Techniken zum Öffnen der Energiekanäle romanischer und gotischer Strukturen.

Wie alle kraftvollen Energiepraktiken ist das Pilgern eine sehr tiefe und persönliche Erfahrung, ausgerichtet auf den Abschluss persönlicher Zyklen sowie das Zusammenfügen und Auflösen karmischer Familienbande.

Der Kurs wird alle Teilnehmer in die Lage versetzen, für sich einen kraftvolle Pilgerreise zu gestalten entlang jenes alten Pfades, der so tief in die Wurzeln der europäischen Psyche hineinragt.

Erforschung des Wegs nach Santiago

Mein Interesse am Pilgerweg nach Santiago de Compostella begann vor 25 Jahren, als ich auf ein Buch mit Illustrationen der einzelnen Stationen der Reise stieß. Sofort entstand damals der Wunsch, eines Tages selbst diese Pilgerreise zu machen.

Der Zyklus, der durch diesen einfachen Wunsch in Bewegung gesetzt wurde, gewann an Fahrt, als ich Ende der 80er-Jahre damit begann in Spanien zu unterrichten und dabei immer mehr Leute aus Galizien traf, aus jener Provinz also, in der Santiago de Compostella liegt.

Von einer Gruppe junger Leute erfuhr ich, was "Cantero" bedeutet - der Teil meines Nachnamens, der von der Familie meiner Mutter stammt: Steinmetz, der Kirchen baut. I

In den vergangenen 14 Jahren erforschte ich, unterstützt von viele spanischen und französischen Schülern, die vorchristlichen Ursprünge der Pilgerreise nach Santiago. Parallel dazu untersuchte ich das Verhältnis von Sternenkonstellationen an verschiedenen Orten entlang der Strecke. "Compostella" bedeutet "Sternenfeld" und die Strecke bildet auf der Erde einen Pfad, der die Konstellationen der Milchstraße entlang vom Zentrum der Galaxie bis zum Stern Sirius führt.

Dies ist der Pfad der Transzendenz, dem der erleuchtete Geist folgt, wenn wir die Erde verlassen. In Ägypten galt der Stern Sirius als das Geistwesen der Göttin Isis. Im vorchristlichen Europa, insbesondere entlang der Atlantikküste, war Isis als die Göttin Mari bekannt, die später zur "Maria" in der christlichen Tradition wurde.

Der Weg nach Santiago ist eine Rückkehr in den Schoß der Großen Göttin, der "Göttin mit den tausend Namen". Alle Kirchen, Höhlen und heiligen Quellen sind der Großen Göttin geweiht. Das ist seit vorchristlicher Zeit so gewesen. Als die christlichen Mönche den Pilgerweg übernahmen, wurde er als der Jungfrau Maria geweiht beibehalten.

Die Energie der Großen Göttin ist das göttliche Weibliche, das in jedem von uns lebt. Es steht für das große Yin und für den mütterlichen Aspekt unseres Seins, die in unserer fürsorglichen und nährenden Natur zum Ausdruck kommen.

Es steht für die Mutter Erde, die schon lange vernachlässigt und Stück für Stück zerstört wird, da wir mit dem Weiblichen in uns nicht stark genug in Verbindung stehen. Nur indem wir uns für unsere innere weiblich-fürsorgliche Natur öffnen, uns ihr annähern, gelingt es uns, uns selbst zu lieben und mit Ausdauer und Beharrlichkeit unsere Energiepraktiken weiterzuführen, durch die sich erst unser volles Potenzial entfaltet.

Wenn wir unseren schöpferischen weiblichen Aspekt nicht aktivieren, bewegen wir uns mechanisch durch die Welt, mit einem verschlossenen Herzen, das eine Spur des Leidens und der Zerstörung zurücklässt. Eines der Hauptprobleme von Menschen, die heute Energiepraktiken üben, ist ihre Herangehensweise.

Sie versuchen, Energiepraktiken mechanisch anzuwenden, ohne jemals ihre nährende Natur zu wecken. Das bedeutet, das Yang zu verstärken, während das Yin ausgehungert wird. Im großen Mythos von Isis und Osiris, der das Herz der esoterischen Tradition des Westens bildet, ist es das Weibliche, das das tote Männliche wieder zum Leben erweckt. Dem Einsatz von Isis ist es zu verdanken, dass der erleuchtete Geist der Transzendenz in Gestalt von Horus geboren wird.

Die Pilgerfahrt entlang der Milchstraße ins Herz von Sirius-Isis ist der Pfad zur Kontaktaufnahme mit dem Weiblichen, um "am Ende der Erde" in Finisterre den Prozess der Erleuchtung in Gang zu bringen.

Dieser Kurs bietet die Möglichkeit, sich auf den Weg des schöpferischen Weiblichen einzulassen, in die tiefen Wurzeln der großen Tradition der Verehrung der Göttin Einblick zu nehmen und vielleicht Teil davon zu werden, indem man "mit dem ersten Schritt beginnt", um auf eine große Reise zu gehen.

Juan Li ist ein international anerkannter Lehrer Taoistischer Praktiken. 1996, begab er sich zu seinem 50ten Geburtstag 8 Monate auf eine Pilgerfahrt nach China und Tibet, um dort 13 heilige taoistische und buddhistische Berge aufzusuchen. Im Frühling 1998 wanderte er über 900 km auf der alten alchemistischen Pilgerstrasse nach Santiago de Compostella in Spanien. Im Frühjahr 2001 besuchte er das grösste Pilgertreffen dieser Welt, die Kumbh Mela in Nordindien und wanderte zum Ursprung der heiligen Flüsses Ganga und Jamuna im Himalaja.

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